null

Diversität und Repräsentanz in Kinder- und Jugendparlamenten

Ein Panel auf der Fachtagung „Jugendpolitik im Dialog“, 27. September

Die Qualität von starken Kinder- und Jugendparlamenten hängt nicht zuletzt davon ab, ob eine breite Beteiligung hinsichtlich Geschlecht, Herkunft, Bildungsstand, sozialer Lage, Beeinträchtigungen oder auch sexueller Orientierung etc. ermöglicht wird. Auf der Fachtagung „Jugendpolitik im Dialog“ – organisiert durch jugendgerecht.de – am 27. September wurde daher im Panel „Diversität und Repräsentanz in Kinder- und Jugendparlamenten“ anhand einer offenen Gesprächsrunde mit vier Vertreter*innen aus verschiedenen Jugendbeteiligungsformaten erörtert, wie Kinder- und Jugendparlamente so ausgestaltet werden können, dass sie die Interessen junger Menschen in ihrer Vielfalt vertreten.

Vorbereitungen am Akademiestandort Hamburg

Die Einladung zur Fachtagung hat der Akademiestandort Hamburg zum Anlass genommen, junge Menschen aus Berlin und Hamburg zu vernetzen und mit und von ihnen als Expert*innen zum Thema Diversität in Jugendbeteiligungsformaten zu lernen. Es gab verschiedene Termine zur Vorbereitung und zum Kennenlernen über Zoom und schließlich ein Treffen am Vortag der Fachtagung in Hamburg. Zunächst gaben die Gäste aus Berlin einen Input zu ihrer Arbeitsweise in ihren Kinder- und Jugendparlamenten und im Anschluss wurden gemeinsam Fragen zur Steigerung der Diversität in Kinder- und Jugendparlamenten erarbeitet. Zur Vorbereitung auf den nächsten Tag wurde eine Panel-Diskussion simuliert und Argumente ausgetauscht. Am Abend wurde das Kennenlernen bei einem Abendessen vertieft.

Input

Finn Sörje und Melissa Duraku von der Akademie für Kinder- und Jugendparlamente (Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V.) begrüßten zunächst die ca. 30 Teilnehmenden des Panels zum Thema Diversität und Repräsentanz in Kinder- und Jugendparlamenten und stellten die Arbeit der Akademie vor. Ziel ihrer Arbeit ist die bundesweite Stärkung von Kinder- und Jugendparlamenten durch Angebote der politischen Bildung. Projekthintergrund ist ein Verständnis von Kinder- und Jugendparlamenten, die als Teil einer bunten Beteiligungslandschaft zum einen Selbstwirksamkeitserfahrungen für junge Menschen ermöglichen, gleichzeitig aber auch eher voraussetzungsvolle Räume der Jugendbeteiligung sind. Daher sieht die Akademie auch einen Schwerpunkt ihrer Angebote darin, Diversität zu fördern und vielfältige Zugänge zu diesem Beteiligungsformat zu eröffnen. Um dezentral Bildungsangebote durchzuführen und eine Vernetzung der Akteur*innen zu ermöglichen, existieren 16 Akademiestandorte in allen Bundesländern.

Bezüglich bestehender Diversität in Kinder- und Jugendparlamenten wurde auf die in den Jahren 2018/2019 durchgeführte Studie „Starke Kinder- und Jugendparlamente. Kommunale Erfahrungen und Qualitätsmerkmale“ verwiesen, herausgegeben vom Deutschen Kinderhilfswerk e. V. Hierbei wurden die Begleitpersonen aller bekannten, mehr als 500 Kinder- und Jugendparlamenten befragt. Dabei stellte sich heraus, dass 70% der befragten Beteiligungsformate über eine geschlechtergerechte Zusammensetzung verfügen, in 30% sind Mitglieder mit Migrationshintergrund anteilig ihrem Anteil in der Bevölkerung repräsentiert, dies trifft bei 25% der Gremien auf Mitglieder aus prekärer sozioökonomischer Lage zu. In etwa der Hälfte der Gremien sind Schüler*innen mit Haupt- oder Realschulabschluss entsprechend vertreten, für Menschen mit Beeinträchtigungen trifft dies nur für 6% zu. Diese Daten widersprechen zwar dem weit verbreiteten Vorurteil, dass Jugendparlamente ausschließlich eine Sache von männlichen, weißen Gymnasiasten seien, belegen aber gleichzeitig eine noch immer gegebene Privilegierung nach Bildungsgängen und Herkunft.

Im weiteren Verlauf wurden die Fragen aufgegriffen, wie Kinder- und Jugendparlamente so ausgestaltet werden können, dass sie die Interessen möglichst aller Kinder und Jugendlicher vertreten und was es für Angebote dafür braucht: Welche Inhalte, Ansprache, Formate bzw. Settings und Rahmenbedingungen sind nötig, um ein Beteiligungsformat auf die Beine zu stellen, das die Vielfalt Jugendlicher Interessen abbildet? Für die politische Bildung mit diesem Anspruch, so Melissa Duraku und Finn Sörje, ist eine diversitätsbewusste Haltung, das Empowerment von marginalisierten Gruppen und das Hinterfragen von Zugangsbarrieren, die aufsuchende Arbeit sowie ein Peer-to-Peer-Ansatz von großer Bedeutung,

Diskussionsrunde

Im Anschluss wurde die Diskussionsrunde mit Carlo Tullio vom Kinder- und Jugendparlament Tempelhof-Schöneberg, Berlin, Leyla Soysal vom Kinder- und Jugendparlament Charlottenburg-Wilmersdorf, Berlin, Alissa Ouro-Gebele vom Jugendforum St. Georg, Hamburg, und Sharon Lonkuta vom Jugendforum Mümmelmannsberg, Hamburg, eröffnet. Die Moderation übernahm Nisa-Nur Evren vom Netzwerk Muslimischer Akademiker*innen.

Auch hier wurde von Nisa-Nur Evren in die Runde zunächst die Frage zur Ausgestaltung von Kinder- und Jugendparlamenten gestellt, damit die Interessen möglichst aller Jugendlichen repräsentiert werden bzw. sich mehr Kinder und Jugendliche selbst beteiligen. Ausgehend davon, dass Kinder- und Jugendparlamente auf Repräsentanz ausgelegt sind, wurde die Frage gestellt, ob es überhaupt nötig bzw. möglich sei, im Kinder- und Jugendparlament die Interessen aller jungen Menschen zu vertreten. Hier wurde jedoch von den jungen Menschen betont, dass vielfältige Lebensrealitäten abgebildet werden müssen, da sonst wertvolle Perspektiven verlorengingen. Es müsse jede*r zumindest „ein bisschen“ repräsentiert sein. Die persönliche Ansprache und das richtige Wording seien hier von besonderer Bedeutung, um junge Menschen niedrigschwellig für Partizipation zu begeistern. Positiv hervorgehoben wurde, dass Kinder- und Jugendparlamente auch eine Interaktion vor einem interreligiösen Hintergrund ermöglichen. Sharon Lonkuta betonte, dass sich junge Menschen oftmals für Partizipation interessieren, sie ihren sozioökonomischen Hintergrund jedoch oftmals als Barriere sehen, um in einem Beteiligungsformat aktiv mitzuwirken. Die aufsuchende Arbeit in „Brennpunkten“ sei von besonderer Bedeutung, da die Personen aus den entsprechenden Bezirken am besten einschätzen könnten, welche Aspekte des Zusammenlebens wichtig seien zu verbessern. Daneben, so Alissa Ouro-Gebele müsse Macht von weiß gelesenen Personen abgegeben werden, von denen sich beispielsweise BIPoC oftmals nicht repräsentiert fühlen.

Weiterhin wurde betont, dass Kinder- und Jugendparlamente keine starren Konzepte sein sollten und daher auch ganz unterschiedlich aussehen und wandelbar sein können. Es sei zunächst wichtig, selbstverwaltete Räume an Jugendliche zu übergeben. Für eine gelingende Jugendbeteiligung seien daneben unterstützende Personen sowie eine wertschätzende Haltung Erwachsener gegenüber der Meinung von Kindern und Jugendlichen sowie ihrer Beteiligung auf politischer Ebene wichtig. Hier wurde das Stichwort „Adultismus“ genannt, d.h. das ungleiche Machtverhältnis und das Zuschreiben von gewissen negativ behafteten Eigenschaften von Erwachsenen gegenüber Kindern bzw. Jugendlichen. Aus dem Plenum kam die Anmerkung, dass Erwachsene lieber über Formate von Jugendbeteiligung sprächen, anstatt über deren Ausgestaltung, beispielsweise bezüglich Repräsentanz und Diversität. Kommunen müssten daher Strukturen für echte Beteiligung und dem Leben von Diversität ermöglichen, beispielsweise durch die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscher*innen oder auch entsprechenden Fortbildungen für die Verwaltung. Vor allem die Punkte Zeit und Geld seien problematisch für eine gelingende Beteiligungsarbeit.

Daneben wurde angemerkt, dass die Unterscheidung zwischen reinen Safe Spaces und echter Jugendbeteiligung wichtig sei und die Frage gestellt, welche Formen von Kinder- und Jugendparlamenten sich bewährt haben, um Kinder und Jugendliche zu beteiligen. Hier wurde beispielsweise das Jugendforum Mümmelmannsberg in Hamburg genannt, welches sich monatlich zu mehrstündigen Sitzungen und Entscheidungsfindungen auf lokalpolitischer Ebene trifft. Es sei besonders wichtig, dass Parlamente, Foren und alle anderen Beteiligungsformate gut untereinander vernetzt sind. Gleichzeitig kam aus dem Plenum der Impuls, Jugendbeteiligung müsse aus der reinen Jugendarbeit herausgelöst werden, um ein anderes „Standing“ auf politischer Ebene zu erreichen. Hieraus resultierte die Frage, wie es sich mit der Beteiligung auf Landes- oder Bundesebene verhält und ob sich die Strukturen der kommunalen Kinder- und Jugendparlamente auch auf die Landesebene übertragen ließen.

Angesichts gesellschaftlicher und politischer Kräfte von rechts, die sich ausdrücklich gegen Diversität aussprechen, wurde die Frage gestellt, wie Kinder- und Jugendparlamente damit umgehen können. Dazu wurde angemerkt, dass vor allem Politische Bildung und Argumentationstraining wichtig gegenüber Menschen seien, die rechte Propaganda verbreiten. In Bezug auf den Umgang mit Parteien insgesamt berichtete Carlo Tullio, dass im Kinder- und Jugendparlament Tempelhof-Schöneberg parteipolitische Interessen aus der Arbeit herausgehalten werden und Konsens darüber besteht, dass Personen, die in eine Partei eintreten, automatisch aus dem Kinder- und Jugendparlament ausscheiden. Weiterhin kam aus dem Plenum die Frage, ob auch Erfahrungswerte bezüglich gehörloser Mitglieder in den Kinder- und Jugendparlamenten bestehen. Leyla Soysal berichtete, dass es im Kinder- und Jugendparlament Charlottenburg-Wilmersdorf finanzielle Mittel gibt, um Gebärdensprachdolmetscher*innen zu beauftragen. Gehörlose Mitglieder gibt es aber bei den im Panel vertretenen Beteiligungsformaten (noch) nicht.

Einig waren sich alle Teilnehmenden des Panels darüber, dass es noch viel zu tun gibt, damit die Interessen junger Menschen in ihrer Vielfalt Eingang in politische Entscheidungen finden. Die Perspektiven der vier jungen Menschen auf dem Panel boten dafür wichtige Impulse.

Panel-Teilnehmende und Moderatorin
Fachtagung „Jugendpolitik im Dialog“ / Patriotische Gesellschaft Hamburg / 27.09.2022 /// Fotos: Eman Helal