null

Nicht in Zukunft – sondern jetzt! Politische Bildung stärkt Kinder(beteiligung)

Fachtagung zu politi­scher Bildung und Betei­ligung mit Kindern

Kinder leben nicht erst in Zukunft, sondern jetzt! Sie haben das Recht und die Fähig­keiten, sich mit politi­schen Themen zu befassen und ihre Themen und Inter­essen einzu­bringen. Bislang gibt es speziell für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren aller­dings nur wenige Angebote der politi­schen Bildung und Betei­li­gungs­mög­lich­keiten. Vor diesem Hinter­grund luden die beiden Projekte Akademie für Kinder- und Jugendpar­la­mente (https://kijupa.adb.de/) und Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern (https://demokratie-profis.adb.de/projekt/) am 18. und 19. September 2023 zu einer Fachtagung in die Heimvolks­hoch­schule Maria­spring bei Göttingen ein. Gemeinsam mit Kindern und Fachkräften der politi­schen Bildung und der Betei­li­gungs­arbeit wurde ein Rahmen geschaffen, um zu reflek­tieren, weiter­zu­denken und mitein­ander zu diskutieren:

  • Was sind die Aufgaben und Möglich­keiten politi­scher Bildung mit Kindern?
  • Was sind alters­ge­rechte, wirksame und zugäng­liche Betei­li­gungs­formate für Kinder?
  • Welche Rolle können/sollten Erwachsene bei der Arbeit mit Kindern einnehmen?

Unter dem Titel “Anti-Adultismus und Kriti­sches Erwach­sensein als Ausgangs­punkt” gab ManuEla Ritz zu Beginn einen kompri­mierten Überblick darüber, was Adultismus ist, was es bedeutet ein*e kritische*r Erwachsene*r zu sein, und warum dies ein wichtiger Ausgangs­punkt für das Mitein­ander und Zusam­men­ar­beiten mit Kindern ist. Sie machte darauf aufmerksam, dass Adultismus als eine Diskri­mi­nie­rungsform absichtlich passiert – auch aufgrund struk­tu­reller Rahmen­be­din­gungen –, und es wichtig ist, sich dem Macht­un­gleich­ge­wicht zwischen jungen Menschen und sogenannten Erwach­senen bewusst zu sein. Um einen konstruk­tiven Umgang mit diesem Ungleich­ge­wicht zu finden, gab sie die Handlungs­an­regung, nicht als Erwachsene*r Grenzen für das Kind zu ziehen, sondern die eigenen Grenzen (ebenso wie struk­tu­relle) zu reflek­tieren und zu kommu­ni­zieren. Darüber hinaus stellte sie die von ihr formu­lierten „30 Schritte zum*zur kriti­schen Erwach­senen“ vor, die eine*n in der Reflektion und Handlung leiten können.

„Adultimus ist, dass Größere, Kinder absichtlich runter­machen und sie die ganze Zeit auch damit aufziehen, dass sie halt kleiner sind. Und vielleicht sagen die dann auch, dass sie nicht so gut sind wie sie.“ (© Simbi Schwarz)

Im anschlie­ßenden Workshop mit ManueEla Ritz wurde weiter disku­tiert, wie Adultismus unbewusst politische Bildung und Betei­li­gungs­formate prägt, und was wichtige Schritte sind, um das zu ändern. Auch wurde gemeinsam darüber gesprochen, was wirklich struk­tu­relle Grenzen – beispiels­weise in Förder­richt­linien – sind, die eine adulti­mus­kri­tische Arbeit behindern, und was nur gelebte Praxis, die auch anders geht. Parallel dazu ging es mit Claudia Brunsemann darum, was eine adultis­mus­kri­tische Perspektive für die Betei­ligung von Kindern bedeutet und welche Rolle, Haltung und Struk­turen für gelin­gende Betei­li­gungs­pro­zesse notwendig sind. Auch in Bezug auf die eigenen Selbst­wirk­sam­keits­er­fah­rungen wurde heraus­ge­stellt, dass Vertrauen und Wertschätzung einen hohen Stellenwert haben.

Insgesamt wurde deutlich, dass politische Bildung und Parti­zi­pation mit Kindern weniger eine Frage von Kompe­tenzen der Zielgruppe ist, als vielmehr eine Frage von Kompe­tenzen und Positio­nie­rungen der erwach­senen Akteur*innen, von Macht­abgabe und Wirksamkeit in Beteiligungsprozessen.

Um nicht nur über Kinder zu sprechen, sondern mit Kindern zu arbeiten, waren auch Kinder zur Fachtagung einge­laden. Die Kinder­gip­fel­gruppe “Umwelt- und Klima­schutz 1” der Freien Schule Friesland brachte ihre Perspektive ein und erzählte unter anderem, was sie an Erwach­senen nervt. Aber vor allem stellten sie ihre Erfah­rungen mit dem Kinder­gipfel vor, berich­teten von ihrer Idee des Kinder­bun­destags und was sie gerne ändern wollen. Ihr Beitrag war sowohl inhaltlich inter­essant, als auch auf der Metaebene spannend: ist es angemessen oder doch adultis­tisch, wenn wir ertappt oder auch bekräf­tigend auflachen, wenn Kinder sagen was sie an Erwach­senen stört? Außerdem wurde am Beispiel disku­tiert, wie eine Fachtagung mit Kindern und Fachkräften angemessen zu gestalten ist.

Die Diskus­sionen des Tages wurden am Abend in infor­meller Runde weiter­ge­führt und sich über die eigenen Erfah­rungen weiter ausge­tauscht. Für die Personen, die nach dem langen Tag noch Energie hatten, gab es zudem die Möglichkeit, in einem spiele­ri­schen Workshop das Reflek­ti­ons­spiel des Projekts „Demokra­tie­profis in Ausbildung!“ kennen­zu­lernen und direkt auszu­pro­bieren.  Das Spiel richtet sich an Erwachsene und regt dazu an, über das Kind- und Erwach­sensein nachzu­denken und den Einfluss eigener Erfah­rungen sowie gesell­schaft­licher Normvor­stel­lungen auf die Haltung und Handlung als pädago­gische Fachkraft / politische Bildner*in zu reflektieren.

Der zweite Tag legte den Fokus auf die praktische Arbeit. Als Danke­schön für ihren Input durften sich die Kinder einen eigenen Workshop wünschen und entschieden sich für das Thema Perma­kultur, den Fridtjof Hansen mit ihnen durch­führte. Während­dessen konkre­ti­sierten die Erwach­senen, was eine adultis­mus­kri­tische Haltung für ihre jewei­ligen Arbeits­kon­texte bedeutet. Im Austausch über konkrete Formate, Ansätze und Erfah­rungen wurden die Erkennt­nisse des ersten Tages auf die Praxis politi­scher Bildung und Betei­ligung bezogen.

 „Politische Bildung mit Kindern – Das geht!!!“ (Jasmin–Marei Christen)

In einem einlei­tenden Impuls­vortrag stellten Jasmin–Marei Christen und Finn Sörje die beiden Bereiche Betei­ligung und politische Bildung ins Verhältnis zuein­ander. Anstatt Kindern das Interesse an politi­schen Themen abzusprechen, nach dem Motto: „Politische Themen sind zu groß und heraus­for­dernd für Kinder“, geht es in politi­schen Bildungs­pro­zessen darum, die politische Dimension in ihren Alltags­er­fah­rungen zu reflek­tieren und gemeinsam zu erkunden, inwiefern indivi­du­elles Erleben mit gesell­schaft­lichen (Macht-)Strukturen zusam­men­hängt. In der Ausein­an­der­setzung mit ihren Themen und Fragen können Kindern zugleich Wege aufge­zeigt werden, wie sie ihren Inter­essen Ausdruck verleihen und ihre Betei­li­gungs­rechte wahrnehmen können. Außerdem gilt es, Erwachsene dafür zu sensi­bi­li­sieren und zu quali­fi­zieren, Kinder zu respek­tieren und angemessen zu betei­ligen. Damit, so das Fazit, ist politische Bildung eine entschei­dende Grundlage für die Parti­zi­pation von Kindern.

Anschließend halfen kurze Impulse aus der Bildungs- und Betei­li­gungs­praxis dabei, zu sehen was all die Ansprüche in der konkreten Arbeit bedeuten. Vanessa Lindner zeigte anhand eines Praxis­bei­spiels auf, wie der Wunsch nach „Schleim machen“ einer Kinder­gruppe erfolg­reich mit einer Diskussion zu den Kinder­rechten und dem Recht auf Spiel und Freizeit verbunden werden konnte. Kontras­tiert mit den teils diver­gie­renden Inter­essen und Erwar­tungen von Erwach­senen und ungleichen Entschei­dungs­mög­lich­keiten konnte so auch das gesell­schaft­liche Macht­ver­hältnis von Erwach­senen und Kindern (à Adultismus) betrachtet werden. Neben Schleim machen, stellten die Kinder am Ende dann auch politische Forde­rungen auf. Dieser Erfah­rungs­be­richt aus der konkreten Praxis zeigt, das aus einer parti­zi­pativ formu­lierten Frage an die Kinder („Was wollt IHR eigentlich machen?) sowohl ein Refle­xi­ons­prozess bei den Erwach­senen als auch ein politi­scher Bildungs­prozess in der gesamten Gruppe angeregt wurde.

Mit Daniel Frömbgen ging es darum, welche Faktoren und Bedin­gungen notwendig sind, um eine gerechte Mitbe­stimmung von Kindern auf kommu­naler Ebene zu ermög­lichen. Mittels der Kopfstand-Methode sammelte die Gruppe zunächst Antworten auf die Frage „Was müssten wir tun, um Parti­zi­pation von Kindern im Grund­schul­alter möglichst wirkungsvoll zu verhindern?“ Die Ideen­sammlung füllte sich schnell, denn Negativ­bei­spiele waren vielen Teilneh­menden bereits aus der eigenen Praxis bekannt. Anhand der Antworten ließen sich im nächsten Schritt Gelin­gens­fak­toren für wirkungs­volle Parti­zi­pation von Kindern ableiten. Maßgeblich ist, dass Kinder ihre Rechte nicht erkämpfen können, sondern dass sie ihnen von Erwach­senen zugestanden werden müssen. Dies geht zwangs­läufig mit einem Macht­ver­zicht einher, der sich in der Haltung der Erwach­senen wider­spiegeln sollte.

Johanna Rohde (AEJ-NRW) und Kristina Quandt (Soziale Bildung e. V.) zeigten in ihrem Workshop auf, wie Betei­ligung in Hort und Ganztag aussehen kann und warum es wichtig ist, nicht nur zu fragen, was Kinder sich wünschen, sondern auch genauer zu schauen, welche Bedürf­nisse damit ausge­drückt werden. Im Bericht über die parti­zi­pative Erarbeitung eines Ganztages-Parla­ments für Kinder wurde deutlich, wie unter­schiedlich Kinder und Erwachsene auf Betei­li­gungs­formate schauen und welche (unaus­ge­spro­chenen) Erwar­tungen Erwachsene oft mit sich bringen. Darüber hinaus wurde ganz exempla­risch darüber disku­tiert, wie sich in gemalten Bildern vom perfekten Hort die Bedürf­nisse der Kinder wieder­finden. Erkennt­nis­reich war dabei, dass es oft nicht unbedingt um die gemalten Beispiele geht, sondern darum, das Bedürfnis dahinter gemeinsam herauszuarbeiten.

Die Veran­staltung brachte Fachkräfte der Kinder- und Jugend­be­tei­ligung und der politi­schen Bildungs­praxis sowie weitere Inter­es­sierte zusammen. Sie war wie so oft vollge­packt mit Input und angeris­senen Themen und bot so eine Menge roter Fäden, die in die eigene Arbeit der Teilneh­menden, ebenso wie in den weiteren Diskurs der beiden Projekte, mitge­nommen werden können. Denn politische Bildung mit Kindern funktio­niert, aber Fachkräfte müssen sich und ihre Haltung und Arbeit reflek­tieren und passende Formate wählen. Um dabei weiter zu unter­stützen, werden die beiden Projekte „Akademie für Kinder- und Jugendpar­la­mente“ und „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“ in ihrer Projekt­laufzeit bis Ende 2024 weitere Angebote für Fachkräfte sowie auch für junge Menschen machen

Weiter­füh­rende Infor­ma­tionen zum Themenfeld unter folgenden Links

(Fotos: ©AdB)